Baselbiet feiert jahrhundertealten Banntag
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Brauchtum
Baselland

Baselbiet feiert jahrhundertealten Banntag

06.05.2024 13:27 - update 06.05.2024 21:06

Baseljetzt

Der Banntag als Wanderung entlang der Gemeindegrenze erfreut sich jeweils im Mai im Baselbiet grosser Beliebtheit. In Liestal und Sissach ist es eine Männerdomäne mit Flinten und Rotten. In anderen Gemeinden hat sich der Brauch hingegen zum Familienanlass etabliert.

Frühmorgens knallt es in der Altstadt. Die Schützen machen mit Böllerschüssen den Anfang. Später läutet die Banntagsglocke beim Stadttor hunderte von Männern zusammen – allesamt mit Hut und «Maie», wie der Blumenschmuck an der Krempe genannt wird. Vier sogenannte Rotten laufen jeweils eine Etappe Gemeindegrenze ab. Später, beim «Znünihalt», genehmigen sich die durstigen Wanderer einen «Muff» – ein Vierdeziliterglas mit Wein.

Jeweils am Montag vor Auffahrt spielen sich diese Szenen in Liestal ab. Die Baselbieter Kantonshauptstadt pflegt den wohl bekanntesten Banntag der Schweiz. Als einzige Gemeinde kennt ihn Liestal als kommunalen Feiertag. Der Gang entlang den Grenzsteinen ist dort den Männern vorbehalten: Liestaler Bürgern und «Tschamauchen», wie Einwohner ohne Bürgerrecht genannt werden, sowie Gästen.

Auch Kinder dürfen mitwandern, während Frauen – abgesehen von der Mithilfe bei der Verpflegung – aussen vor bleiben. Ausnahmen bestätigen die Regel: So zeigt ein Foto von 1949 aus dem Staatsarchiv eine Frau, die beim «Znünihalt» mit der Flinte in der Hand abdrückt.

1581 erstmals schriftlich belegt

Die Bürgergemeinde hat bisweilen das Jahr 1405 als Ursprung des Brauchs genannt. So etwa im Jahr 2005, als das 600-Jahre-Jubiläum gefeiert wurde. Das spätmittelalterliche Datum geht auf ein Urkundenbuch zurück, das einen Ritt des Liestaler Schultheiss mit Banner und Gefolge entlang der Ergolz erwähnt.

Zu einem anderen Schluss kommt hingegen der Volkskundler Dominik Wunderlin. Bei der Nennung von 1405 habe es sich nicht um einen Bannumgang, sondern lediglich um eine Regelung der Fischereirechte gehandelt. Gemäss Wunderlin ist der Banntag seit 1581, also nach der Reformation, schriftlich belegt.

Der Banntag war einst sowohl eine religiöse Zeremonie wie auch eine Kontrolle der Grenzen. Bauern pflegten den Gang durch die Felder, um für Segen und Fruchtbarkeit zu beten. In katholischen Gebieten blieben solche Flurprozessionen in Gebrauch.

Narren und Prügeleien

Anders in denjenigen Gebieten, wo sich die Reformation durchsetzte. Dort wurde der Bannumgang zur rein politischen Pflicht, wie dem Portal zur Kantonsgeschichte des Staatsarchivs zu entnehmen ist. Die Bürger, vor allem die dazu beauftragten «Gescheidsleute», hatten die Grenzsteine zu kontrollieren.

Der Bannumgang wandelte sich zu einem Fest am Auffahrtstag. Im 18. Jahrhundert nahm der Brauch gar fasnachtsähnliche Züge mit Maskenfiguren wie dem Wilden Mannes und Narren an, wie Wunderlin schreibt. Diese Feiern an einem kirchlichen Feiertag waren jedoch den Geistlichen ein Dorn im Auge. So kam es um 1714 zu einer Verlegung auf den ersten Montag im Mai, später auf auf den Montag vor Auffahrt.

Bisweilen konnte es am Banntag auch rau zugehen. Im 19. Jahrhundert kam es teilweise zu Wortgefechten oder gar zu Schlägereien, wenn die Bürger auf ihrem Rundgang auf die Banntägler eines Nachbarsdorf stiessen, wie es auf dem besagten Portal heisst.

Wiedererweckung im 20. Jahrhundert

Mit der Einführung des Grundbuchs wurde die Grenzkontrolle überflüssig. Daher schafften die meisten Gemeinden den Bannumgang ab. Es wurde gemäss Wunderlin auch als «Sauffest» abgekanzelt. Es gab etwa Klagen über angetrunkene Schulkinder und Schiessunfälle.

Der Banntag erlebte aber – wie auch andere Baselbieter Traditionen – im 20. Jahrhundert eine Renaissance. Auch in Liestal. Die Ortsbürger waren dort gegenüber den Einwohner inzwischen zahlenmässig in die Minderheit geraten. Indem sie den Banntag wiederbelebten, betonten sie ihre einstigen Vorrechte. So wird der Banntag in Liestal und Sissach auch noch heute mit Rotten und Flintengeknalle begangen. Im Vordergrund stand nun nicht mehr die Grenzkontrolle, sondern das Kennenlernen der Heimat. Er stand nun auch den «Tschamauchen» offen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg führten auch viele andere Gemeinden den Banntag ein. Als Tag der Integration für die vielen Zugewanderten wurde er wichtig. Heute gleicht der Anlass in vielen Gemeinden einem Familienausflug am Auffahrtstag mit Wurst, Blasmusik und Festbetrieb – zum Beispiel in Gelterkinden, Binningen und Reinach. Mancherorts, etwa in Münchenstein, reiten manche Teilnehmerinnen und Teilnehmer zu Ross mit. Auch die beiden baselstädtischen Gemeinden Riehen und Bettingen zelebrieren diese Tradition. Die Bürgerkorporation des Basler Quartiers und des ehemaligen Fischerdorfes Kleinhüningen führte 1990 ebenfalls einen Banntag ein.

Schiesslärm-Streit und Dissidenten-Rotte

Im Gegensatz zu all diesen Volksfesten wurde der Liestaler Banntag immer wieder zum Politikum. So führte der Schiesslärm zu einem jahrelangen Rechtsstreit. Die damalige Nationalrätin Ruth Gonseth (Grüne) reichte deswegen in den 1990er-Jahren Beschwerde ein und ging damit bis vors Bundesgericht. Dieses lehnte im Jahr 2000 die Beschwerde ab und erachtete den Schiesslärm als zumutbar. Auch dieses Jahr gelangte Petition gegen Geböller ins Kantonsparlament Gemäss Baselbieter Schiessverordnung sind aber einzig die Gemeinden dafür zuständig.

Ein zweiter Punkt, der bereits in den Siebzigerjahren für Debatten sorgte, ist der Ausschluss der Frauen in Sissach und Liestal. Anno 1996 gründete sich schliesslich die fünfte Rotte, auch bekannt als Dissidentenrotte. Dort waren Frauen und Menschen jeglicher Nationalität zugelassen. Sie brach stets eine Stunde nach den vier Rotten der Bürgergemeinde auf, später am Auffahrtstag. Mittlerweile ist sie jedoch von der Bildfläche verschwunden. (sda/jwe)

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